Die Treppe im See(100)
?Ja? So wie du.?
?Mir ist auch schlecht.? Sein Blick schweifte durchs Zimmer.
Zwei Beamte fotografierten den Teppich sowie die vergr??erte ?ffnung, die sie in die Wand geschnitten hatten, um zu dem Spalt zu gelangen.
Eines dritten Officers schwarze Stiefel kamen zum Vorschein, er kroch aus der Nische heraus. ?Ziemlich eng dort?, befand er, schwitzend, er gl?nzte wie ein Aal. ?Der Tunnel führt die ganze Wand entlang bis hinter die Stufen. Liegt auch eine Menge Müll herum; das Kind muss es als R?uberlager oder so genutzt haben.?
Nein, dachte ich. Kein R?uberlager. Dort versteckte er sich, wenn er sich fürchtete oder wenn er sich verletzte.
Adam fasste mir an die Schulter. ?Du hattest recht, wei?t du.?
?Vielleicht?, sagte ich. ?In manchen Dingen.?
?Nein?, beharrte Adam. ?In jeder Hinsicht. Wie du selbst sagtest: Des R?tsels L?sung lag in der Treppe, und dieser Geheimgang führt hinter der Wand bis unter die Treppe. Damals am See hast du einfach die falsche Treppe erwischt.?
Getrieben von einer schwer zu erkl?renden Treue rief ich Earl an und bat ihn, die Kamera sowie seinen besten Schreibblock mitzubringen. Als er am Ort des Geschehens eintraf, schoss er Fotos von der Stelle, an der die Polizisten die Wand im Obergeschoss aufgebrochen hatten. Auch den Gang zwischen den W?nden, in dem Elijahs Leichnam verborgen gewesen war, knipste er.
Bevor Earl wieder aufbrach, umarmte er mich mit einem überraschenden Ma? Emotion, dann hielt er mich auf Armesl?nge fest, w?hrend er grinste. ?Wenn das vorbei ist, werden Sie wegziehen?, meinte er.
?Wir k?nnen nicht bleiben.?
?Danke, dass Sie mir das gegeben haben.?
?Sie haben es erst m?glich gemacht?, erinnerte ich ihn.
Earl sah aus, als wolle er noch etwas Herzliches und Rührseliges sagen. Was er vielleicht auch getan h?tte, wenn wir dazu gekommen w?ren, uns besser kennenzulernen. Aber so wie es war, waren wir einander mehr oder weniger fremd, am Ende blieb es bei einem kr?ftigen H?ndeschütteln mit begleitendem Nicken. ?Sie behalten meine Telefonnummer?, wies er mich an. ?Melden Sie sich hin und wieder.?
Ich versprach es ihm. ?Passen Sie auf sich auf?, fügte ich hinzu und sah ihm nach, wie er durch den schwindenden Schnee zu seinem Altwagen trottete.
(Seinen Zeitungsartikel sollte sp?ter die Presse landesweit übernehmen, was Earl zum ersten und gleichzeitig einzigen Mal auf breiter Ebene ins Rampenlicht rückte. Und ja, ich blieb mit ihm in Kontakt … bis er eines Nachts anderthalb Jahre sp?ter einen t?dlichen Schlaganfall erlitt.)
Als er davonfuhr, fühlte ich mich leer.
Adam kam irgendwann gegen Mitternacht zurück. Alle im Haus schliefen, inklusive Jodie, die auf der ausziehbaren Couch im Wohnzimmer lag. Ich hatte in der Küche ein Lager aufgeschlagen und das Licht gel?scht. Der Kleinbildfernseher flimmerte ohne Ton im Dunkeln.
?Hey. Du hast doch nicht etwa auf mich gewartet, oder??
?Machst du Witze??
?Wo ist Jodie??
?Auf der Couch. Ihr geht es gut.?
?Und dir??
Ich hielt eine Hand hoch, um ihm zu zeigen, wie stark ich zitterte. ?Bereit um die Operation durchzuführen?, witzelte ich.
Adam knipste die Lampe über dem Becken an und drehte das Wasser auf. Er schrubbte seine H?nde mit Spülmittel ab.
?Hast du Hunger??, fragte ich. ?Ich mach uns ein paar Sandwiches.?
?Yeah. Klingt gut, danke.?
Ich ?ffnete den Kühlschrank und nahm Truthahnbraten, Mayonnaise, einen halben Salatkopf sowie zwei Dosen Pepsi Light heraus. Auf der Arbeitsfl?che lag ein Stück Wei?brot, von dem ich zwei dicke Scheiben ab-und in der Mitte durchschnitt. Dann fragte ich Adam, ob er gro?en oder nur wenig Hunger habe.
?Riesigen?, gab er zu, gerade als er sich die H?nde am Küchentuch abwischte. ?Wei? gar nicht mehr, wann ich zuletzt gegessen habe.?
Ich belegte das Brot dick mit Truthahnscheiben und streute etwas Pfeffer darauf. über dem Spülbecken wusch ich den Salat und garnierte das Geflügel mit Bl?ttern. Zuletzt bestrich ich die andere H?lfte des Brotes mit Mayonnaise. Nachdem ich die Teller auf den Tisch gestellt hatte, fiel mir auf, dass mein Bruder aus dem Fenster hinaussah, zwischen den B?umen sprenkelten Lichter wie Stecknadelk?pfe die Sackgasse. Die Cops hatten die Eingangslampen nicht ausgemacht.
?Keine gro?e Sache.? Adam wandte den Blick nicht von drau?en ab.
?Ich m?chte es wissen.?
?Er starb an den Folgen eines schweren Sch?deltraumas. Eine schwere Fraktur am Hinterkopf, die sich Elijah bei dem Sturz von der Treppe zugezogen haben k?nnte. Wenn die Ergebnisse der Autopsie vorliegen, wissen wir natürlich mehr, aber schon jetzt zeichnet sich relativ deutlich ab, was geschehen ist.?
Er drehte sich um und nahm am Tisch Platz, um gemeinsam mit mir zu essen.
Mehrere Minuten vergingen, bis Adam weitersprach. ?Kein Erwachsener würde in diese Nische passen. Nicht Veronica, geschweige denn David.?
?Ich wei?.? überraschend war es nicht. Ich hatte schon am Nachmittag darüber nachgedacht. ?Er muss dort hineingekrochen sein, nachdem sie ihn ins Haus getragen hatte. Als sie ihm den Rücken kehrte, zog er sich in sein Geheimversteck zurück.? Ich redete, ohne mir selbst zuzuh?ren. Nebenbei erinnerte ich mich wieder an die Geschichte, die mir Althea Coulter im Krankenhaus erz?hlt hatte, wie sie die Dentmans zwei Tage hintereinander besucht hatte, ohne den Jungen anzutreffen. Dass David jedes Mal pers?nlich zur Tür gekommen war, mutete schon skurril an, doch am dritten Tag hatte es obendrein gehei?en,
Elijah sei schlicht fort gewesen.