Save You (Maxton Hall, #2)(86)



Ich will nicht runtergehen.

Ich m?chte nicht wissen, was er jetzt schon wieder kaputtgemacht hat.

Ich will mir keine Sorgen um ihn machen, verdammt.

Obwohl alles in mir schreit, dass ich gef?lligst wieder in mein Zimmer gehen soll, mache ich mich auf den Weg nach unten. Wieder klirrt etwas. Was auch immer Dad tut, er tut es im Esszimmer.

Leise schleiche ich durch den Flur. Je n?her ich komme, desto deutlicher kann ich ihn h?ren. Er murmelt etwas, und es klingt ver?rgert, als würde er mit irgendwem sprechen. Mary oder Percy vielleicht?

Kurz vor dem Esszimmer mache ich einen leichten Bogen und drücke mich schlie?lich links neben der Tür an die Wand.

?Miststück?, lallt mein Vater. ?Das h?ttest du nicht tun dürfen.?

Stirnrunzelnd rücke ich ein Stück n?her. Mit wem zum Henker redet er?

?Ich werde dir nie vergeben. Jetzt bin ich mit den beiden allein und mache alles falsch, und es ist verdammt noch mal deine Schuld!? Die letzten beiden W?rter brüllt er. Ich lehne mich aus meinem Versteck und sehe gerade noch, wie er eine Karaffe voll Whiskey gegen das Familienportrait über dem Esstisch feuert. Ich keuche trocken, als die Karaffe laut zerschellt, das Klirren ein Echo in meinen Ohren. Die braune Flüssigkeit l?uft an Mum herab und über Lydia und mich. Die Farben sehen aus, als würden sie sich aufl?sen. Mums Gesicht zerl?uft wie eine schmelzende Wachsfigur, die sich nach und nach in ein Monster verwandelt. Eine groteske Fratze, die von oben auf meinen Vater herabblickt und ihn verh?hnt.

Die Wut auf ihn, die immer in mir schlummert, erwacht in diesem Moment zu neuem Leben, und durch meine Adern l?uft eine Hitze, die nur er in mir ausl?sen kann. Ich balle die H?nde zu F?usten und will gerade ins Zimmer gehen und ihn zur Rede stellen, da st??t er auf einmal ein anderes Ger?usch aus.

Von hinten kann ich seine Schultern beben sehen. Er schnappt mehrmals nach Luft, dann geben pl?tzlich seine Knie nach, und er sinkt zu Boden. Mitten in die Scherben. Er schl?gt sich die H?nde vors Gesicht, und dann h?re ich es erneut.

Mein Vater schluchzt.

Ich kann mich nicht bewegen, sondern bin wie festgefroren, w?hrend ich ihm beim Weinen zusehe. Ich denke an all die Male, in denen er mich zum Weinen gebracht hat. Ich denke an die Schl?ge und sein Gebrüll, an seine Beleidigungen und die K?lte, mit der er mich immer ansieht. Ich denke an den Tag der Beerdigung, an dem er uns Anweisungen dazu gegeben hat, wie wir uns verhalten sollen. An sein Schweigen nach Mums Tod.

Und ich merke, dass ich nicht die Genugtuung empfinde, die ich eigentlich empfinden will. Im Gegenteil – mein Dad leidet. Zu was für einen Menschen würde es mich machen, wenn ich mich jetzt umdrehen und in meinem Zimmer verschwinden würde?

Es f?llt mir nicht leicht, den ersten Schritt zu machen, aber ich tue es. Ich gehe ins Esszimmer, wobei ich aufpassen muss, nicht in die Scherben seines Wutausbruchs zu treten, und bleibe hinter ihm stehen. Ganz instinktiv lege ich Dad eine Hand auf die Schulter und drücke kurz zu. Das Schluchzen endet abrupt, und er h?lt den Atem an.

Gerade als ich meine Hand wieder wegziehen will, greift er danach. Er klammert sich beinahe verzweifelt daran, und ich lasse ihn. Ein merkwürdiges Gefühl überkommt mich. Etwas, was ich schon seit einer Ewigkeit nicht mehr für meinen Vater empfunden habe.

Ich sehe hoch zu unserem Bild. Darauf hat Dad beide H?nde auf Lydias Schultern, w?hrend ich vor Mum stehe und sie mich mit beiden Armen umschlungen h?lt. Zwar sind die Farben gr??tenteils verschwommen, aber ich wei? noch genau, wie es damals gewesen ist. Ich wei? noch genau, wie es sich angefühlt hat, Teil einer Familie zu sein.

Das Gefühl, das jetzt gerade in mir aufkeimt, ist zwar nur ein Schatten davon, aber ich halte daran fest.





26


Lydia

Ich muss zum ersten Mal in meinem Leben ein Kleid im Internet bestellen. Statt die Bond Street in London entlangzuspazieren und in jeden der L?den mindestens einmal hineinzuschnuppern, sitze ich nun auf Rubys Bett und klicke mich durch einen Onlineshop nach dem anderen. Es macht Spa?, vor allem weil ich es nicht allein machen muss, aber ich freue mich jetzt schon darauf, wenn ich wieder in meine Lieblingsl?den gehen und die Kleider anfassen und aus der N?he betrachten kann.

Die n?chsten paar Monate wird das allerdings keine Option für mich sein. Die meisten der Ladenbesitzer dort kennen mich, und die Wahrscheinlichkeit, dass sie einen Blick auf meinen Bauch werfen und eins und eins zusammenz?hlen, ist mir viel zu hoch. Denn dann w?re es nur eine Frage der Zeit, bis Dad davon erf?hrt.

Der Gedanke schickt einen eiskalten Schauer durch meinen K?rper.

Nein, Onlineshopping wird es vorerst tun müssen.

?Wie findest du das??, fragt Ruby und dreht den Laptop zu mir.

Ich rümpfe nur die Nase. ?Das sieht aus, als w?re jemand mit der Schere ausgerutscht?, sage ich und fahre mit dem Zeigefinger den Saum des Kleids nach, das hinten ein ganzes Stück l?nger ist als vorn. ?Meine Mum h?tte sich tierisch über diesen Schnitt aufgeregt. Und über die Farbe. Und den unmotivierten Spitzenbesatz am Dekolleté.?

?Okay, okay?, sagt Ruby lachend und schlie?t die Seite. ?Dann gucken wir noch mal hier. Da sind wir eben nur bis Seite zw?lf von siebenundzwanzig gekommen.?

Sie beginnt, nach unten zu scrollen, und gemeinsam beobachten wir, wie Kleider in den verschiedensten Farben und Schnitten auf dem Display erscheinen.

?Vielleicht sollte ich mich einfach vor dem Frühjahrsball drücken?, schlage ich nach einer Weile vor.

Ruby schüttelt augenblicklich den Kopf. ?Es ist dein letzter Frühjahrsball, Lydia. Du musst kommen.?

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