Save You (Maxton Hall, #2)(69)



?Naaa??, fragt sie gedehnt. Anscheinend hat sie mit unserer Diskussion vom Morgen gedanklich abgeschlossen – oder ist einfach zu neugierig, als dass sie mir in diesem Moment die kalte Schulter zeigen k?nnte.

?Kann ich mir deinen Stuhl leihen??, frage ich.

Embers Grinsen wird noch breiter. ?Natürlich darfst du dir meinen Stuhl leihen.?

Ich ignoriere ihren anzüglichen Tonfall und schiebe den Schreibtischstuhl in mein Zimmer. James hat inzwischen vor meinem Tisch Platz genommen, Der Utilitarismus liegt aufgeschlagen vor ihm.

?Bist du sicher, dass du Lektüre mit mir durcharbeiten m?chtest??, frage ich, als ich mich neben ihn setze.

Er blickt auf, und ein kleines L?cheln macht sich auf seinen Lippen breit. ?Ich m?chte alles mit dir tun, was du mich tun l?sst, Ruby.? Beinahe im selben Moment, in dem die Worte seinen Mund verlassen haben, zieht er eine Grimasse. ?Das … kam irgendwie falsch raus.?

Eine R?te breitet sich auf James’ Gesicht aus, und auch meine Wangen werden warm. Ich wende den Blick ab und bl?ttere zur ersten Seite des Buchs, dann r?uspere ich mich. ?Brauchst du einen Notizblock??

James neben mir nickt sofort. ?Ja. Danke.?

Und in den n?chsten zwei Stunden nehmen wir tats?chlich Der Utilitarismus zusammen durch. Zwar f?llt es mir anfangs schwer, mich zu konzentrieren – zum einen, weil James neben mir sitzt, und zum anderen, weil meine Gedanken wie wild in meinem Kopf toben –, aber nach einer Weile verstehe ich die Theorie und beginne, meine eigene Meinung über das Thema zu formen. James und ich diskutieren über die Thesen des jeweils anderen, und wieder einmal f?llt mir auf, wie verdammt intelligent er ist. Auch wenn er keine Lust auf Oxford hat – ich glaube, wenn er das Studium antritt, wird er es allen zeigen.

Als wir fertig sind und ich ein letztes Stichwort in meinem neuen Booklet farbig markiert habe, lehne ich mich mit einem Seufzen zurück.

?Und jetzt??, fragt James.

Ich runzle die Stirn. ?Was meinst du??

?Na ja. Wenn ich mir den Kopf so vollgestopft habe, muss ich mich immer mit irgendwas ablenken, bevor ich weitermachen kann?, erkl?rt er.

?Was machst du dann??, frage ich neugierig. Wie merkwürdig, dass ich James’ dunkelste Geheimnisse kenne, aber so gut wie nichts darüber wei?, wie sich sein allt?gliches Leben gestaltet.

?Sport meistens.? James zuckt mit den Schultern. ?Manchmal schaue ich mir auch Videos von Reise-Bloggern an.?

Als ich nichts erwidere, sieht er mich mit hochgezogenen Brauen an. ?Du hast doch sicher auch irgendetwas, um den Kopf wieder frei zu bekommen.?

Ich z?gere einen Moment. ?Ja, schon. Aber es ist wirklich merkwürdig. Du darfst mich nicht komisch finden.?

James’ Mundwinkel zucken. ?Ich bin so gespannt, was jetzt kommt.?

?Du musst es mir versprechen, James.?

James hebt zwei Finger zum Ehrenwort und nickt.

Schlie?lich greife ich nach meinem Laptop und ?ffne die Favoritenleiste im Browser. Ich gehe auf meinen Entspannungs-Ordner und klicke dort das erste gespeicherte Video an.

Auf dem Bildschirm erscheint ein blondes M?dchen, das eine Begrü?ung flüstert. Das Video startet damit, dass sie ein Paket aufmacht und langsam über das Papier streicht, in das die einzelnen Gegenst?nde eingepackt sind. Ich riskiere einen Seitenblick zu James, da ich das Video ohnehin auswendig kenne. Dieser sieht den Bildschirm an und dann mich. ?Was zum Henker ist das? Wieso spricht sie so leise?? Sein Blick zuckt wieder zurück. Im Video kratzt das M?dchen gerade mit ihren langen N?geln über einen Schwamm. ?Warum tut sie das??

?Das ist ein ASMR-Video.?

James’ Gesicht ist ein einziges gro?es Fragezeichen.

?Das ist so ein Internetph?nomen?, erkl?re ich. ?Ich habe echt keine Ahnung, wie ich das beschreiben soll. Das sind Videos, in denen Leute leise sprechen und bestimmte Ger?usche wie zum Beispiel Knistern oder Rascheln machen.?

?Aber warum?? Es ist fast ein bisschen sü?, wie verwirrt er ist. So habe ich ihn noch nie erlebt.

?Das soll beruhigen?, erkl?re ich. ?Mein Gehirn reagiert da total drauf.?

?Das hei?t, du guckst das zur Entspannung??, fragt er mit skeptischem Blick.

Ich nicke. ?Ich bekomme dann so eine Art G?nsehaut auf dem Kopf. Manchmal schaue ich das auch zum Einschlafen.?

James grinst. ?Ich glaube, darauf muss man sich richtig einlassen, damit es funktioniert. Jetzt gerade finde ich es viel zu abgefahren, als dass ich G?nsehaut bekommen k?nnte. Es ist … wirklich ein bisschen merkwürdig.?

?Es gibt Hunderte Videos dazu?, sage ich und klicke den n?chsten Favoriten in meiner Liste an. Jetzt erscheint auf dem Bildschirm ein Arzt, der einem Patienten leise die Anweisung gibt, den Arm zu heben und die Augen zu schlie?en.

Es dauert nicht lange, und ein Kribbeln breitet sich auf meiner Kopfhaut aus.

James schüttelt den Kopf. ?Das ist so faszinierend. Auf eine ganz verdrehte Art und Weise.?

?Guck dir heute Abend mal eins vor dem Einschlafen an. Und dann berichtest du mir, ob es funktioniert hat?, sage ich mit einem wissenden Grinsen.

?Es w?re cool, wenn das klappen würde. Ich schlafe schon seit Wochen mies.?

Das Grinsen rutscht mir vom Gesicht. Eigentlich will ich die Stimmung nicht killen, aber wenn er so etwas sagt, kann ich einfach nicht darüber hinweggehen. Ich muss die Frage stellen, auch wenn sie traurig ist.

?Ist es wegen deiner Mum??, frage ich vorsichtig.

James h?lt die Luft an. Einen Moment lang ist er v?llig regungslos, dann atmet er h?rbar aus und nickt schlie?lich. ?Ja. Ich … tr?ume manchmal von ihr.?

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