Save You (Maxton Hall, #2)(31)
Ich blicke auf. Die Anspannung, unter der Lydia steht, ist unübersehbar. Ihre Wangen sind ger?tet, ihre Schultern stocksteif.
?Ich … ich wei? nicht, was ich sagen soll.?
Ich komme mir so unendlich dumm vor. Gleichzeitig wird mir klar, wie egoistisch ich in den vergangenen Wochen war. Ich habe nur mein eigenes Schicksal bejammert, meinen Verlust, mein schlechtes Gewissen, mein gebrochenes Herz. Die ganze Zeit wusste meine Schwester, dass sie schwanger ist, und dachte, dass sie es mir nicht erz?hlen kann. Natürlich gibt es Dinge, die wir einander vorenthalten, aber doch nicht so etwas. Nicht etwas, was so überm??ig gro? und lebensver?ndernd ist.
?Du brauchst nichts zu sagen?, flüstert Lydia.
Ich schüttle den Kopf. ?Es tut mir …?
?Nein?, unterbricht sie mich. ?Ich will kein Mitleid, James. Nicht von dir.?
Ich kralle meine Finger in die Lehnen des Sessels, um mich davon abzuhalten, wieder aufzuspringen und durch das Zimmer zu marschieren. Der Stoff knirscht unter meinem unnachgiebigen Griff.
Die Kluft, die zwischen Lydia und mir entstanden ist, als ich ihr diese unverzeihlichen Worte an den Kopf geworfen habe, erscheint mir unüberwindbar. Ich bin mir unsicher, was ich sie fragen kann und was nicht. Hinzu kommt, dass ich mich überhaupt nicht mit Schwangerschaften auskenne.
Ich schlie?e die Augen und reibe mir mit beiden H?nden übers Gesicht. Meine Gliedma?en fühlen sich müde an, als w?re ich in den letzten Stunden gealtert und nicht mehr achtzehn, sondern achtzig Jahre alt.
Schlie?lich r?uspere ich mich. ?Wie hast du es erfahren??
überrascht sieht Lydia auf. Sie z?gert einen Moment lang, dann beginnt sie zu erz?hlen. ?Ich habe … ?hm … ohnehin keinen regelm??igen Zyklus, deshalb habe ich mir am Anfang nichts dabei gedacht, als meine Tage ausgeblieben sind. Aber nach einiger Zeit wurde ich misstrauisch, weil es mir auch ganz merkwürdig ging. Insgesamt.? Sie zuckt mit den Schultern. ?Also habe ich mir einen Test gekauft. Da waren wir in London. Ich habe ihn auf der Toilette eines Restaurants gemacht und bin fast umgefallen, als er positiv war.?
Kopfschüttelnd sehe ich sie an. ?Wann war das??
?Im November.?
Ich schlucke schwer. Vor zwei Monaten. Zwei Monate lang schon hütet Lydia dieses Geheimnis, wahrscheinlich v?llig angsterfüllt und in dem Glauben, vollkommen allein zu sein. Wenn mich diese Offenbarung bereits so aus der Bahn wirft – wie war es ihr in den letzten Wochen ergangen? Zus?tzlich zu allem, was sonst noch geschehen ist?
Mit einem Mal wünsche ich mir nichts mehr, als die Distanz zwischen uns zu überwinden. ?Ich kann mir nicht vorstellen, wie das für dich gewesen sein muss.?
?Ich … habe mich noch nie so allein gefühlt. Noch nicht einmal nach der Sache mit Gregg. Ich h?tte niemals gedacht, dass es mit Graham einmal schlimmer sein k?nnte.?
?Wei? er davon??, hake ich vorsichtig nach.
?Nein.?
Lydia bemüht sich sichtlich, nicht zusammenzubrechen, dabei sehe ich ihr die Hoffnungslosigkeit an. Vermutlich hat sie in den letzten beiden Monaten nichts anderes getan, als sich zusammenzurei?en, st?ndig bemüht darum, ihr Geheimnis für sich zu behalten und niemandem ihre wahren Gefühle zu zeigen. Ich hasse mich selbst dafür, sie so im Stich gelassen zu haben. Stattdessen habe ich nur an mich selbst gedacht.
Damit ist jetzt Schluss. Ich habe keinen blassen Schimmer, was in den kommenden Monaten auf Lydia zukommen wird. Doch in dieser Sekunde ist mir zu hundert Prozent klar, dass sie das nicht allein durchmachen wird.
Ich hole tief Luft und stehe auf.
Als ich mich neben sie auf das Bett setze, schiebe ich alles beiseite – die Trauer, den Schmerz, die Wut, die ich empfunden habe. Vorsichtig greife ich nach ihrer Hand.
?Du bist nicht allein?, versichere ich ihr.
Lydia schluckt hart. ?Das sagst du nur so. Und das n?chste Mal, wenn du wütend bist, knallst du mir wieder nur gemeine Worte an den Kopf.? Tr?nen laufen ihr über die Wangen, und ihr K?rper bebt, als sie mit aller Macht ein Schluchzen unterdrückt. Es macht mich fertig, sie so zu sehen.
?Ich meine es ernst, Lydia. Ich werde für dich da sein.? Ich hole tief Luft. ?Die Person, die ich war, nachdem Dad uns erz?hlt hat, was passiert ist – die bin ich nicht. Die will ich nicht sein. Das war einfach … Es war zu viel für mich. Ich war nicht stark genug, und das tut mir leid.?
?Du zerquetschst meine Hand?, murmelt Lydia.
Einen Moment lang stehe ich auf dem Schlauch. Doch als ich Lydias Blick folge, schalte ich und lasse sie sofort los. ?Auch das tut mir leid.? Ich l?chle sie entschuldigend an.
?Ach, James.? Auf einmal lehnt Lydia sich zur Seite, mit dem Kopf auf meine Schulter. Ich atme auf. ?Du hast mir echt wehgetan mit dem, was du gesagt hast.?
Ich streiche sanft über ihren Hinterkopf.
Früher haben wir oft so dagesessen. Als Fünfj?hrige ist Lydia zu mir ins Bett gekommen, wenn es drau?en geblitzt und gedonnert hat, als Zehnj?hrige, wenn Dad uns angeschrien hat, weil ihm unsere Noten nicht gut genug waren, und auch als Fünfzehnj?hrige hat sie nach der Sache mit Gregg in manchen N?chten an meine Tür geklopft und sich anschlie?end wortlos neben mich ins Bett gelegt. Ich habe stets ihren Kopf gestreichelt und gesagt, dass alles gut werden wird, auch wenn ich selbst davon nie überzeugt war.
Ich frage mich, ob sie sich auch noch an diese Momente erinnert oder ob das ein Teil unserer Vergangenheit ist, den sie verdr?ngt hat. Im Verdr?ngen sind wir Beauforts n?mlich ziemlich gut.
?Das, was ich gesagt habe, war gelogen. Du bist die wichtigste Person in meinem Leben.?