Save You (Maxton Hall, #2)(8)
Behutsam hebe ich die Hand und streiche James die rotblonden Str?hnen aus der Stirn. Ich fahre mit den Fingerspitzen sanft über seine Wange nach unten und lege meine Handinnenfl?che an sein kaltes Gesicht. Es fühlt sich an, als würde ich etwas unendlich Zerbrechliches in meiner Hand halten.
Ich nehme all meinen Mut zusammen, beuge mich zu ihm runter und drücke meine Lippen auf seine Stirn.
James’ Atem stockt.
Einen Moment lang sind wir in dieser Position wie eingefroren, keiner von uns wagt es, sich zu bewegen.
Dann setze ich mich wieder auf und ziehe meine Hand zurück.
In der n?chsten Sekunde packt James mich bei den Hüften. Er krallt sich mit den Fingern hinein und stürzt sich f?rmlich nach vorn. Ich bin so erschrocken über die pl?tzliche Bewegung, dass ich erstarre. James umschlingt mich mit seinen Armen und vergr?bt das Gesicht an meiner Halsbeuge. Sein ganzer K?rper wird von einem tiefen Schluchzen erschüttert.
Ich lege die Arme um ihn und halte ihn fest. Es gibt nichts, was ich in dieser Sekunde sagen kann. Ich kann seinen Verlust nicht nachempfinden, und ich will auch nicht so tun, als k?nnte ich es.
Was ich kann, ist, in dieser Sekunde für ihn da zu sein. Ich kann seinen Rücken streicheln und seine Tr?nen teilen. Ich kann mit ihm fühlen und ihm zu verstehen geben, dass er das nicht allein durchmachen muss, ganz gleich, was zwischen uns geschehen ist.
Und w?hrend James in meinen Armen weint, realisiere ich, dass ich die Situation v?llig falsch eingesch?tzt habe.
Ich dachte, nach dem, was er mir angetan hat, k?nnte ich ihn einfach aus meinem Leben streichen. Ich hatte gehofft, schnellstm?glich über ihn hinwegzukommen. Doch jetzt, wo ich merke, was sein Schmerz auch mit mir anrichtet, wei? ich, dass das nicht so schnell passieren wird.
3
James
Die W?nde drehen sich. Ich wei? nicht, wo oben und unten ist, kann nur spüren, dass Rubys H?nde da sind und mich halbwegs in der Wirklichkeit verankern. Sie sitzt auf meinem Bett, den Rücken ans Kopfteil gelehnt, w?hrend ich halb auf ihr liege. Ihr Arm ist fest um mich geschlungen, mit der Hand streicht sie sanft über meinen Kopf. Alles, worauf ich mich konzentriere, ist die W?rme ihres K?rpers, ihr gleichm??iger Atem und ihre Berührung.
Ich habe keine Ahnung, wie viele Tage mittlerweile vergangen sind. Sobald ich versuche, mich an irgendetwas zu erinnern, ist da nichts als Nebel. Dichter grauer Nebel und zwei Gedanken, die in kurzen Momenten der Klarheit immer und immer wieder zu mir durchdringen:
Erstens: Meine Mum ist tot.
Zweitens: Ich habe vor Rubys Augen ein anderes M?dchen geküsst.
Egal, wie viel Alkohol ich in mich kippe oder was ich nehme – Rubys Gesichtsausdruck in diesem Augenblick werde ich niemals vergessen. Sie hat so ungl?ubig und verletzt ausgesehen. Als h?tte ich ihre Welt zerst?rt.
Ich vergrabe das Gesicht wieder an Rubys Taille. Zum einen, weil ich Angst habe, dass sie jeden Moment aufsteht und geht. Zum anderen, weil ich fürchte, dass die Tr?nen jeden Moment zurückkommen. Allerdings passiert nichts von beidem. Ruby bleibt, und ich habe offensichtlich keine Flüssigkeit mehr in mir, die ich entbehren kann.
Ich habe das Gefühl, dass da überhaupt nichts mehr in mir ist. Vielleicht ist meine Seele zusammen mit meiner Mutter gestorben. Wie sonst h?tte ich Ruby das antun k?nnen?
Wie habe ich Ruby das antun k?nnen?
Was ist verkehrt mit mir?
Was zum Teufel ist verkehrt mit mir?
?James, du musst atmen?, flüstert Ruby unvermittelt.
Bei ihren Worten realisiere ich, dass ich tats?chlich aufgeh?rt habe zu atmen. Ich bin mir nicht sicher, wie lange schon.
Tief hole ich Luft und lasse sie langsam wieder entweichen. Gar nicht so schwer.
?Was passiert mit mir?? Diese Worte zu flüstern ist so anstrengend, dass es sich danach anfühlt, als h?tte ich sie gebrüllt.
Rubys Hand h?lt inne. ?Du trauerst?, gibt sie genauso leise zurück.
?Aber wieso??
Eben habe ich vergessen zu atmen – jetzt geht mein Atem viel zu schnell. Ruckartig setze ich mich auf. Mein Brustkorb tut weh, ebenso meine Gliedma?en, die sich anfühlen, als h?tte ich zu viel Sport getrieben. Dabei habe ich in den letzten Tagen nichts getan, als zu verdr?ngen, was gerade mit meinem Leben geschieht.
?Wieso was?? Ihr Blick ist warm, und ich frage mich, wie sie es schafft, mich so anzusehen.
?Wieso ich traurig bin, meine ich. Ich mochte meine Mum nicht mal besonders.?
Noch ehe ich die Worte ausgesprochen habe, erstarre ich. Habe ich das gerade wirklich gesagt?
Ruby greift nach meiner Hand und h?lt sie fest. ?Du hast deine Mutter verloren. Es ist normal, v?llig fertig zu sein, wenn jemand stirbt, der einem so wichtig ist.?
Sie klingt nicht so sicher und überzeugt wie sonst. Ich glaube, Ruby hat selbst keine Ahnung, wie man sich in einer solchen Situation verh?lt. Dass sie dennoch hier ist und es versucht, kommt mir beinahe vor wie ein Traum.
Vielleicht ist es ja sogar einer.
?Was ist hier passiert??, wispert sie pl?tzlich und hebt vorsichtig meine rechte Hand hoch.
Ich folge ihrem Blick. Meine Kn?chel sind dort, wo sie aufgeplatzt sind, noch immer blutverschmiert, die restliche Haut ist voller roter und blauer Flecken.
Vielleicht ist es doch kein Traum. Oder wenn, dann ein sehr realistischer.
?Ich habe meinen Vater geschlagen.? Die Worte kommen ohne jegliche Wertung aus meinem Mund. Ich fühle nichts, als ich sie ausspreche. Noch etwas, was verkehrt mit mir ist. Schlie?lich wei? jeder halbwegs normale Mensch, dass man die Hand niemals gegen seine Eltern erhebt. Aber dieser Moment, in dem mein Vater Lydia und mir die Nachricht von Mums Tod überbracht hat – so tonlos und kalt –, das war der Moment, in dem ich einfach nicht mehr konnte.