Save You (Maxton Hall, #2)(11)
Die Stimmung im Wagen ist gedrückt. Weder James noch mein Vater, der auf der Bank seitlich von uns sitzt, nehmen mich zur Kenntnis. W?hrend ich ein schwarzes Etuikleid mit Volants an den langen ?rmeln trage, sind sie beide in schwarze Anzüge gekleidet, die eigens für diesen Tag angefertigt wurden. Die dunkle Farbe des Stoffs l?sst meinen Bruder noch blasser aussehen, als er ohnehin schon ist. Die Stylistin hat sich zwar bemüht, ihm ein bisschen Farbe ins Gesicht zu zaubern, funktioniert hat das allerdings nicht. Bei Dad hingegen hat das Make-up Wunder bewirkt: Von den Blutergüssen um sein Auge ist nichts mehr zu sehen.
Ich schüttle den Kopf, w?hrend ich die beiden betrachte. Meine Familie ist ein einziger Scherbenhaufen.
Die Fahrt zum Friedhof zieht wie im Rausch an mir vorbei. Ich versuche, es meinem Vater und meinem Bruder gleichzutun und mich mental an einen anderen Ort zu begeben, aber das ist sp?testens ab dem Moment unm?glich, in dem wir zum Stehen kommen und Percy leise flucht.
Der Eingang des Friedhofs ist von Reportern belagert.
Ich schiele zu James, doch sein Gesicht ist vollkommen ausdruckslos, als er sich die Sonnenbrille aufsetzt und darauf wartet, dass die Tür des Wagens ge?ffnet wird. Ich schlucke schwer und ziehe den Mantel enger zusammen. Anschlie?end schiebe ich meine eigene Sonnenbrille auf die Nase. Beim Anblick der dr?ngelnden Reporter wird mir richtiggehend schlecht. Ich versuche, tief durch die Nase ein-und anschlie?end durch den Mund wieder auszuatmen.
Zwei der von Julia engagierten Security-M?nner helfen uns beim Aussteigen. Meine Knie sind weich und zittrig, und als wir zur Kapelle gehen, fühlt es sich an, als würde ich unter Schock stehen. Die Journalisten und Paparazzi rufen uns hinterher, aber au?er meinem und James’ Namen verstehe ich keines ihrer Worte. Ich ignoriere sie und gehe mit gestrafften Schultern schnellen Schrittes weiter. An der Kapelle angekommen, ?ffnen Mitarbeiter des Friedhofs die Türen für uns, sodass wir, ohne zu warten, eintreten k?nnen.
Das Erste, was ich sehe, ist der Sarg, der vor dem Altar aufgebaut ist. Er ist schwarz, und auf der glatten, lackierten Oberfl?che spiegelt sich das Licht der H?ngelampen, die an der hohen Decke der Kapelle angebracht sind.
Das Zweite ist die Frau, die direkt vor dem Sarg steht. Ihr Haar ist genauso rot wie Mums, f?llt aber in sanften Locken bis auf ihre Schultern. Auch sie tr?gt einen schwarzen Mantel, der ihr bis zu den Kniekehlen reicht.
?Tante Ophelia??, kr?chze ich und mache einen Schritt auf sie zu.
Sie dreht sich um. Ophelia ist fünf Jahre jünger als Mum, und auch wenn ihre Züge weicher sind und ihr Gesichtsausdruck nicht so ernst, sieht man auf den ersten Blick, dass sie ihre Schwester ist.
?Lydia.? In ihren Augen kann ich dieselbe tiefe Trauer erkennen, die ich seit Tagen empfinde.
Ich will zu ihr gehen und sie in den Arm nehmen, aber bevor ich auch nur einen Schritt nach vorn machen kann, packt mein Vater mich am Oberarm. Sein Blick ist eiskalt, als er erst Ophelia und dann mich ansieht. Kaum merklich schüttelt er den Kopf. Ein schmerzhaftes Pochen macht sich in meinem K?rper breit. Das hier ist Mums Beerdigung. Sie hatten vielleicht nicht die beste Beziehung, aber sie waren Schwestern. Und ich bin mir sicher, Mum h?tte gewollt, dass wir heute für Ophelia da sind.
Ohne auf mich oder meinen Widerstand zu achten, legt mein Vater einen Arm um meine Schulter. Es ist keine liebevolle Geste, sondern fühlt sich vielmehr wie ein unnachgiebiger Schraubstock an. W?hrend er mich in die für uns reservierte Sitzreihe bugsiert, drehe ich mich noch einmal zu Ophelia um, doch sie ist in dem Meer aus schwarz gekleideten Menschen verschwunden.
Der Trauerzug wird von über einem Dutzend Security-Leuten begleitet, die neben uns herlaufen und darauf achten, dass uns die Reporter nicht zu nahe kommen. Die meisten sind zwar taktvoll genug, sich am Rand des Wegs zu postieren, einige halten uns die Kameras aber so dicht ans Gesicht, dass ich nur die Hand auszustrecken br?uchte, um sie zu berühren.
Nach einer Weile sehe ich zu James, der neben mir l?uft und stoisch auf den Rücken unseres Vaters starrt. Seine Miene ist wie in Stein gemei?elt, hart und ausdruckslos, und ich wünschte, ich k?nnte in seine Augen blicken. Dann würde ich vielleicht wissen, was in ihm vorgeht. Ich frage mich, ob er gekokst oder getrunken hat, bevor wir hergekommen sind. In den letzten Tagen – genau genommen seit dem Abend, an dem Ruby bei uns war – hat er sich vollkommen zurückgezogen und weder mit mir noch mit den Jungs gesprochen. Ich kann es ihm nicht verdenken. Wir ticken in vielerlei Hinsicht gleich. Auch ich h?tte etwas brauchen k?nnen, was mir dabei hilft, diese unendlich erscheinenden, schrecklichen Tage durchzustehen.
W?hrend der nicht enden wollenden Trauerrede in der Kapelle habe ich mich mental ausgeklinkt. H?tte ich zugeh?rt, was der Pastor alles über Mum gesagt hat, w?re ich vermutlich zusammengeklappt. Stattdessen habe ich eine unsichtbare Wand zwischen mir und meinen Emotionen hochgezogen und mich nur darauf konzentriert, nicht laut loszuschluchzen. Ich kann mir vorstellen, wie mein Vater das gefunden h?tte.
Diese Wand versuche ich wieder heraufzubeschw?ren, als wir schlie?lich vor Mums Grab zum Stehen kommen. Ich starre auf das schwarze Loch, das in den Boden gegraben wurde, und schiebe jegliche Emotion konsequent von mir weg. Einen Moment lang glaube ich, dass es funktioniert. Der Pastor beginnt erneut zu sprechen, aber ich h?re nicht hin und denke an nichts.
Doch als der Sarg ins Grab hinabgelassen wird, habe ich mit einem Mal das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Es fühlt sich an, als würde etwas Gewaltiges, Düsteres in mir aufsteigen, das mir die Kehle zuschnürt. All die Gedanken, die ich in der letzten Stunde zu verdr?ngen versucht habe, k?mpfen sich an die Oberfl?che meines Bewusstseins.