Save You (Maxton Hall, #2)(23)



Pl?tzlich macht Lydia einen Schritt nach vorn und zieht mir einen Ohrst?psel aus dem Ohr. ?James!?

?Was ist los??, frage ich sie und nehme auch den zweiten St?psel raus. Die pl?tzliche Ruhe kommt mir bedrohlich vor. In letzter Zeit brauche ich immer Ger?usche um mich herum, weil ich sonst nachzudenken beginne.

?Ich wollte mit dir über Ruby sprechen.?

Ich nehme die H?nde von den Stangen und greife nach meinem Handtuch. Damit wische ich mir über das Gesicht und anschlie?end über den Nacken, wo sich der Schwei? gesammelt hat. Ich vermeide es, Lydia anzusehen.

?Ich wei? nicht, was du …?

?Komm schon, James.?

Es fühlt sich an, als würde ich eine zu eng gebundene Krawatte tragen, die sich um meinen Hals zusammenzieht. Ich r?uspere mich. ?Ich habe keine Lust, darüber zu sprechen.?

Lydia sieht mich kopfschüttelnd an. Ihre Mundwinkel sind nach unten verzogen, und sie hat die Arme vor der Brust verschr?nkt. In dieser Sekunde erinnert sie mich so sehr an Mum, dass ich kurz den Blick abwenden muss. Ich sehe auf das Handtuch und wische die H?nde daran ab, obwohl sie l?ngst trocken sind.

?Ich würde dir so gern helfen. Euch.?

Darüber kann ich nur bitter lachen. ?Es gibt kein uns, Lydia. Und das gab es auch nie. Ich habe es vermasselt.?

?Wenn du ihr erkl?rst –?, beginnt Lydia von Neuem, aber ich unterbreche sie.

?Sie m?chte meine Erkl?rung nicht h?ren. Und das kann ich ihr auch überhaupt nicht verübeln.?

Lydia seufzt. ?Ich glaube trotzdem, dass ihr noch eine Chance habt. Ich wünschte mir, du würdest sie ergreifen, anstatt dich hier zu verschanzen und dich selbst zu bemitleiden.?

Ich erinnere mich an Rubys Nachricht:

Ich kann nicht.

Natürlich kann sie nicht. Ich habe ein anderes M?dchen geküsst, und das ist unverzeihlich. Ich habe Ruby für immer verloren. Und dass Lydia jetzt hier ankommt und mich vom Gegenteil überzeugen will, macht mich fertig. Ich wollte abschalten und mich ablenken, doch das ist jetzt nicht mehr m?glich. Langsam, aber sicher kehrt die Wut in meinen K?rper zurück. Wut auf Mums Tod, Wut auf meinen Vater, Wut auf mich selbst – und die ganze Welt.

?Was schert es dich??, frage ich. Meine Finger krampfen sich in den Frotteestoff des Handtuchs.

?Ihr seid mir wichtig. Ich m?chte euch nicht leiden sehen, verdammt. Ist das so schwer vorstellbar??

?Ruby will mich nicht zurück, und ich werde mich ihr ganz bestimmt nicht aufdr?ngen. Das solltest du übrigens auch nicht.? Ich stehe auf und will zu den beiden Laufb?ndern gehen, die vor einem gro?en Panoramafenster aufgestellt sind, durch das man Ausblick auf den hinteren Teil unseres Anwesens hat. Doch ich komme nicht weit – Lydia zerrt mich am Ellbogen zurück. Ich fahre herum und funkle sie wuterfüllt an.

?Guck mich nicht so an. Es wird Zeit, dass du endlich wieder du selbst wirst?, faucht sie. Dann sticht sie mir mit einem Finger fest in den Brustkorb. ?Du kannst nicht alles und jeden von dir sto?en.?

?Ich sto?e dich nicht von mir?, bringe ich zwischen zusammengebissenen Z?hnen hervor.

?James …?

Ich versuche, die Maske aus Unnahbarkeit heraufzubeschw?ren, die in der Schule und bei ?ffentlichen Terminen mit meiner Familie immer mein zweites Gesicht war. Doch das ist Lydia, die vor mir steht. Vor ihr musste ich noch nie etwas verbergen, und deshalb will es mir einfach nicht gelingen. Frustriert werfe ich das Handtuch zur Seite.

?Was willst du von mir h?ren, Lydia??, frage ich kraftlos.

?Dass wir das gemeinsam durchstehen werden. Du und ich. So wie immer.? Sie schluckt und berührt mich leicht am Arm. ?Aber wenn du nicht ehrlich mit mir sprechen kannst und dich so zurückziehst, funktioniert das nicht.?

Ich schnaube ver?chtlich. ?Du tust so, als würdest du mit mir über alles reden. Als w?rst du der offene Mensch von uns beiden. Ich musste immer alles aus dir rausquetschen. Von deiner Aff?re mit Sutton habe ich auch nur erfahren, weil du erwischt wurdest.? Ich sto?e ihre Hand weg und sehe ihr kalt in die Augen. ?Nur weil Mum tot ist, hei?t das nicht, dass wir uns jetzt miteinander gegen den Rest der Welt verschw?ren müssen. Mach uns nicht zu etwas, was wir nie waren, Lydia.?

Sie zuckt zusammen und taumelt einen Schritt zurück. Ohne sie noch eines weiteren Blickes zu würdigen, drehe ich mich um und stopfe mir im Gehen die Ohrst?psel zurück in die Ohren. Falls meine Schwester noch etwas sagen sollte, h?re ich es nicht. Das laute Gitarrenriff übert?nt die h?ssliche Wirklichkeit meiner Welt.





9


Ruby

Die Erinnerung an James ist selbst nach wochenlanger Funkstille noch so pr?sent, dass ich das Gefühl habe, als w?re alles erst gestern geschehen. Ich schlafe schlecht. Ich l?sche seine Bilder von meinem Laptop, nur um sie einen Tag sp?ter wieder abzuspeichern und wie eine Psychopathin mit dem Finger über James’ l?chelnden Mund zu fahren. Gleichzeitig komme ich mir wie eine Lügnerin vor, weil ich zu Lydia gesagt habe, dass ich ihn nicht zurückwill, mein K?rper da aber eindeutig anderer Meinung ist.

Ich vermisse James.

Es ist absurd.

Absurd und wahnsinnig.

Und ich k?nnte mich dafür ohrfeigen. Er hat mir das Herz gebrochen, verdammt. Jemanden, der so etwas tut, sollte ich definitiv nicht vermissen.

Weihnachten kommt und geht, und zum ersten Mal in meinem Leben kann ich die Feiertage überhaupt nicht genie?en. Die Filme, die wir schauen, erscheinen mir farblos, und die Lieder, die wir h?ren, klingen alle gleich. Obwohl ich wei?, dass Mum und Dad sich beim Kochen ins Zeug gelegt haben, schmeckt das Essen fad. Und zu allem überfluss fragen mich meine Verwandten ununterbrochen, warum ich so niedergeschlagen bin und ob es etwas mit dem Jungen zu tun hat, der mir an meinem Geburtstag diese hübsche Tasche geschenkt hat. Irgendwann halte ich es nicht mehr aus und verkrieche mich allein in meinem Zimmer.

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