Save You (Maxton Hall, #2)(82)



Schnell gehe ich die Treppenstufen zum Eingang nach oben.

?Hey?, flüstere ich, als die beiden in H?rweite sind. ?Ich habe die Nachrichten erst vor einer Minute gesehen. Euer Dad ist hier??

James und Lydia nicken. Obwohl beide alles andere als glücklich aussehen, zieht James mich in eine kurze Umarmung. ?Hey?, murmelt er in meine Halsbeuge, und ich bekomme am ganzen K?rper G?nsehaut.

Nachdem wir uns voneinander gel?st haben, seufzt Lydia. ?Dad ist extra heimgekommen, weil er mit uns zu Abend essen m?chte.?

?Dann gehe ich besser wieder, oder??, frage ich unschlüssig. Ich will den beiden nicht das Gefühl geben, dass ich mich aus dem Staub mache, sobald es kompliziert wird. Immerhin hat James auch einen ganzen Abend in Gesellschaft meiner Familie ausgehalten. Aber sie sehen so unglücklich über die Tatsache aus, Zeit mit ihrem Vater verbringen zu müssen, dass ich die Situation mit meiner Anwesenheit nicht noch verkomplizieren m?chte.

James l?chelt mich schief an. ?Ich m?chte dir diese Folter einfach gern ersparen.?

Genau in diesem Moment erscheint Mortimer Beaufort im Hausflur.

Als er mich erblickt, weiten sich seine Augen für den Bruchteil einer Sekunde.

Ich versteife mich.

?Bittet euren Gast rein und macht die Tür zu, verdammt, wo leben wir denn hier??, ert?nt seine donnernde Stimme. Lydia und James rei?en die Augen auf und drehen sich um.

Eine Sekunde lang starren wir uns an. Lydia reagiert als Erste und zieht mich sanft am Arm ins Haus. Sie schlie?t die Tür hinter mir, und dann stehe ich pl?tzlich nur wenige Meter entfernt von Mortimer Beaufort, der mich von oben bis unten in Augenschein nimmt.

Ich tue es ihm gleich. Er tr?gt einen ma?geschneiderten dunkelblauen Anzug, und sein sandfarbenes Haar ist sauber zur Seite gek?mmt und dort mit Gel fixiert. Es ist seit unserer letzten Begegnung ein bisschen heller geworden, aber der Blick in seinen Augen ist unver?ndert – eiskalt, ohne auch nur eine einzige Emotion. Ich schlucke schwer. Meine Kehle fühlt sich an, als h?tte ich Sand verschluckt.

Im n?chsten Moment frage ich mich, warum ich es zulasse, dass dieser Mann mich so einschüchtert. Es ist mir egal, was er von mir denkt, schlie?lich empfinde ich für ihn nur Wut, Verachtung und Abneigung – und keinerlei Respekt.

Also strecke ich den Rücken durch und begegne seinem Blick. ?Guten Abend, Mr Beaufort?, sage ich.

?Dad, du erinnerst dich sicher noch an Ruby?, fügt James hinzu.

Mr Beaufort nickt mir knapp zu. Dann wendet er sich an James. ?Das Essen ist fertig. Eure … Freundin ist eingeladen.?

Er schenkt weder mir noch Lydia einen weiteren Blick, bevor er kehrtmacht und in einem Raum am anderen Ende der Eingangshalle verschwindet.

Neben mir kann ich Lydia ruckartig ausatmen h?ren. ?Oh Gott, Ruby?, sagt sie. ?Das tut mir so leid. Wir wollten uns einen sch?nen Abend machen, und jetzt müssen wir uns mit Dad rumqu?len. Statt Sushi gibt es jetzt wahrscheinlich Coq au vin.? Sie verzieht das Gesicht.

James’ Blick ist eindringlich, als er mich ansieht. ?Noch kannst du verschwinden.?

?Dein Vater hat mich schon gesehen.?

?Das ist egal.?

?W?re es dir denn lieber, wenn ich verschwinde??

James z?gert keine Sekunde. ?Nein, natürlich nicht. Je eher Dad sich mit dem Gedanken anfreundet, dass du zu uns geh?rst, desto besser.?

W?rme breitet sich bei seinen Worten in meinem K?rper aus. Ich greife nach James’ Arm und drücke ihn flüchtig. ?Ich werde nicht verschwinden. Au?erdem mag ich Coq au vin.? Ich hebe meine Tasche hoch. ?Und ich habe Eis dabei.?

?Ich bringe das schnell in die Küche?, sagt Lydia. ?Geht ihr schon mal vor.?

James’ Hand liegt auf meinem unteren Rücken, als wir das Esszimmer betreten. Der Raum ist riesig, mit hohen W?nden und breiten Fenstern, durch die man auf den hinteren Teil des Beaufort-Anwesens blicken kann. Das dunkle Grün, in dem die W?nde gestrichen sind, findet sich in den Bezügen der Stühle wieder, und über dem langen Esstisch aus gl?nzendem dunklem Holz h?ngt ein imposanter Kronleuchter, der locker mit denen in den Tanzs?len der Maxton Hall mithalten k?nnte. Der Tisch ist professionell eingedeckt, mit mehreren Besteckgarnituren, hübschem Porzellan und Weingl?sern mit goldenen Akzenten.

Aber es ist nicht nur die Einrichtung und Dekoration, die dieses Esszimmer – falls man es überhaupt so nennen kann – von unserem Zuhause unterscheidet. In erster Linie ist es die Stimmung, die hier herrscht. Sie ist angespannt und unterkühlt und kein Vergleich zu der warmen, lockeren Atmosph?re, in der ich aufgewachsen bin.

Genau wie damals in der Schneiderei in London füllt Mortimer Beaufort auch hier mit seiner Pr?senz den gesamten Raum. Seine abweisende Art und die K?lte in seinem Blick sorgen dafür, dass keine Chance besteht, sich auch nur ann?hernd wohlzufühlen. Es ist erstaunlich.

Ich k?nnte mir niemals vorstellen, mit diesem Mann in einem Haus zu leben.

Wir nehmen nacheinander Platz, Mr Beaufort am Kopf des Tisches, James auf seiner linken Seite, ich direkt daneben und gegenüber von uns Lydia. Zwei Küchenhilfen betreten den Raum und stellen vor jedem von uns einen tiefen Teller mit Suppe ab, von der ein k?stlicher Geruch ausgeht. Ich tue es James und Lydia nach und breite die gefaltete Stoffserviette auf meinem Scho? aus.

?Auf einen sch?nen Abend?, sagt Mr Beaufort und hebt sein Glas hoch.

James und Lydia murmeln etwas Zustimmendes, und auch ich hebe mein Glas.

Das ist schon jetzt der unangenehmste Abend, den ich seit Langem erlebt habe.

Die ersten zehn Minuten verbringen wir schweigend. Es ist so still im Raum, dass es mir unnatürlich laut vorkommt, wenn ich schlucke oder mein Glas auf dem Tisch abstelle. Krampfhaft überlege ich, ob es irgendetwas gibt, was ich sagen k?nnte – oder sagen sollte. Doch mir f?llt beim besten Willen nichts ein.

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