Save You (Maxton Hall, #2)(38)



Ich lasse meine Hand in die Hosentasche gleiten und hole mein Handy raus. In den vergangenen Stunden haben mir die Jungs unz?hlige Nachrichten geschickt, in denen sie mich dazu überreden wollen, heute Abend feiern zu gehen. Es ist mein erster Tag in meiner neuen Funktion im Vorstandsgremium von Beaufort, und in ihrer Welt ist das etwas, worauf wir auf jeden Fall ansto?en müssen.

Leider bin ich überhaupt nicht in Partylaune. Ich wei?, dass die Gelegenheiten, mich mit meinen Freunden zu treffen, in Zukunft immer weniger werden und ich die Zeit, die uns bleibt, nutzen sollte. Sie sind ohnehin schon sauer auf mich, weil ich nur noch zweimal die Woche zum Training komme.

Trotzdem gibt es nur einen Menschen, den ich heute sehen m?chte.

Und dieser Mensch ignoriert mich seit Wochen, weil ich ihn von mir gesto?en habe.

Obwohl ich Ruby in der Schule regelm??ig sehe, vermisse ich sie.

Ich m?chte, dass sie mich wieder ansehen kann, ohne vor Schmerz zusammenzuzucken.

Ich m?chte mit ihr reden k?nnen, immer und überall.

Ich m?chte wissen, ob sie in Oxford genommen wurde.

?Trotz des Todes meiner Frau wird sich nichts an der Unternehmenskultur von Beaufort ?ndern?, spricht mein Vater unbeirrt weiter. ?Sie ist das Fundament unserer Erfolge. Cordelia hat mir damals, als wir uns kennenlernten, gesagt, was es bedeutet, in diese Firma einzusteigen, und ich habe vor, ihr Andenken in Ehren zu halten.?

Applaus brandet auf. Ich klatsche zweimal in die H?nde, dann lese ich unauff?llig die Nachricht, die Cyril mir gerade eben geschrieben hat. Sind bei Wren, wann kommst du endlich? Er schickt ein Foto, auf dem sie ihre Mittelfinger in die H?he recken.

Ich sch?tze, ich habe keine Wahl. Ich werde nach diesem Termin zu ihnen fahren müssen. Ich habe sie in der letzten Zeit oft genug vor den Kopf gesto?en, au?erdem kann es nicht schaden, mich von ihnen ablenken zu lassen. Von dieser Sitzung. Aber in erster Linie auch von Ruby. Egal, was ich tue, sie ist immer in meinem Kopf. Sie ist die einzige Person, die verstehen würde, wie grausam es ist, hier zu sitzen und meinem Dad dabei zuzuh?ren, wie er das Lebenswerk meiner Mum verwaltet. In jener Nacht in Oxford habe ich ihr alles anvertraut. Es war das erste Mal, dass ich die Gedanken, die ich mir immer verboten hatte, laut ausgesprochen habe.

Ruby hat mich verstanden. Sie hat nicht an mein Pflichtbewusstsein appelliert oder die Bedeutung meines Namens. Sie hat mir zugeh?rt und mir Mut zugesprochen. Mut für eine Zukunft, die meine eigene ist.

Je l?nger ich hier sitze, desto st?rker wird mein Wunsch, Ruby zu sehen. Und je ?fter ich mir selbst sage, dass das nicht geht, desto heftiger ist die Sehnsucht, die in mir w?chst.

Ich muss sie sehen.

Ich muss einfach.

?Dieses Vorhaben wird nicht nur von mir ausgehen, sondern auch von meinem Sohn James, der ab sofort auf seine zukünftige Position bei Beaufort vorbereitet wird und der in dieser Woche übrigens seine Zusage von Oxford erhalten hat.?

Als ich meinen Namen und den darauf folgenden Applaus h?re, blicke ich auf. Einige der Kollegen und Kolleginnen nicken mir freundlich zu, andere wiederum sehen ganz genau, dass ich unter dem Tisch gerade mein Handy in der Hand halte, und verziehen die Mundwinkel missbilligend. Ich erwidere ihre Blicke kühl, ohne das Handy wegzustecken

?M?chtest du auch ein paar Worte sagen, James??, fragt mein Vater.

Ich sehe ihn an, bemüht, mir die überraschung nicht anmerken zu lassen. Von einer Rede meinerseits hat er vor der Sitzung nichts erw?hnt. Sein Blick ist eiskalt und beharrlich. Wenn ich jetzt nicht das Wort ergreife, wird mein Vater mir die H?lle hei?machen.

Dieser verdammte Mistkerl. Er hat genau gewusst, dass ich nicht mitgekommen w?re, wenn er mir vorher offenbart h?tte, dass er mich wie ein Rennpferd zur Schau stellen m?chte. Stattdessen l?sst er mich jetzt ins offene Messer laufen.

Ich erhebe mich langsam und schiebe dabei das Handy zurück in die Hosentasche. Kurz schiele ich zu meinem unberührten Wasserglas und bereue, vorher nichts getrunken zu haben. Mein Hals fühlt sich wie zugeschnürt an, als ich mich in der Runde umblicke. Einige dieser Menschen kenne ich, seit ich ein Kind war, andere habe ich zum ersten Mal auf der Trauerfeier meiner Mum gesehen.

Ich muss mich r?uspern. Es fühlt sich an, als h?tte sich mein Geist von meinem K?rper getrennt, als aus meinem Mund Worte kommen, die mir überhaupt nichts bedeuten.

?Meine Mutter w?re stolz gewesen, heute hier zu sein und zu sehen, mit wie viel Mut und Engagement Sie Ihre Energie in unser Unternehmen investieren.?

Ich habe keinen blassen Schimmer, ob Mum das wirklich gedacht h?tte. Ich habe sie nicht einmal richtig gekannt.

In meiner Brust zieht sich etwas zusammen. Kurz erw?ge ich, ohne ein weiteres Wort einfach rauszulaufen, aber das geht nicht. Der einzige Weg hinaus ist, die n?chste Stunde zu überstehen. Ganz gleich, wie.

?Ich freue mich, in Zukunft das tun zu k?nnen, was meine Mutter ihr Leben lang getan und geliebt hat. Die Fu?stapfen, in die ich treten werde, k?nnen niemals gefüllt werden – aber ich kann es zumindest versuchen.?

Mein Blick kreuzt den meines Vaters. Ich frage mich, ob er die Lüge in meinen Augen erkennen kann und ob er merkt, dass ich hier blo? eine Show abliefere. Denn mehr ist es nicht. Eine Show, an der alles einstudiert und nichts echt ist.

In meinem Brustkorb scheint nicht mehr genügend Platz für Sauerstoff zu sein, so eng fühlt er sich mit einem Mal an, so schwer f?llt es mir, Luft zu holen. Wieder denke ich an Ruby. Ruby, die mir sagt, ich k?nne machen, was ich wolle. Ruby, die in mir den Glauben an ein selbstbestimmtes Leben voller M?glichkeiten gepflanzt hat.

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