Save You (Maxton Hall, #2)(98)
Ich bleibe allein zurück.
Rektor Lexingtons Worte wiederholen sich in meinem Kopf in Dauerschleife.
Sie sind mit sofortiger Wirkung vom Maxton Hall College suspendiert.
Suspendiert. Kurz vor Ende des zweiten Terms. Bevor ich die Chance auf einen Abschluss bekommen habe. Obwohl zu Hause an meiner Pinnwand die ausgedruckte E-Mail mit der Oxford-Zusage h?ngt.
Wenn ich keinen Abschluss bekomme, kann ich Oxford vergessen.
All das, worauf ich in den letzten elf Jahren hingearbeitet habe.
Die Erkenntnis dessen, was gerade geschehen ist, trifft mich mit voller Wucht. Ich schwanke auf der Stelle, muss mich am Tresen der Sekret?rin festhalten, weil sich alles um mich herum zu drehen scheint. Nur mit Mühe schaffe ich es, das Büro zu verlassen, ohne zusammenzubrechen.
Auf dem Flur kommen mir Trauben von Schülern entgegen, die sich alle auf die Mittagspause freuen, und meine Fü?e wollen mich wie selbstverst?ndlich in Richtung Mensa tragen. Aber ich darf nicht mehr in die Mensa gehen.
Ich darf nicht mehr zum Treffen mit dem Veranstaltungskomitee.
Sie sind mit sofortiger Wirkung vom Maxton Hall College suspendiert.
Eigentlich darf ich nicht mal mehr hier im Flur stehen.
?Ruby??, erklingt eine vertraute Stimme neben mir.
Mit vor Tr?nen verschleiertem Blick schaue ich auf. Vor mir steht James. Als er erkennt, wie bestürzt ich aussehe, umfasst er sanft meine Oberarme.
?Ich habe geh?rt, dass du ausgerufen wurdest. Was ist passiert??, fragt er eindringlich.
Ich kann nur den Kopf schütteln. Es auszusprechen ist einfach viel zu irre – und au?erdem wird dieser Albtraum dann Realit?t. Das Einzige, was ich machen kann, ist gegen James zu fallen und die Arme um ihn zu schlingen. Ich vergrabe das Gesicht an seinem Jackett und lasse die Tr?nen für einen kurzen Moment zu. Nur ganz kurz, nur bis ich wieder festen Boden unter den Fü?en habe.
?Rektor Lexington … hat mich von der Schule verwiesen?, bringe ich nach einer Weile hervor. Ich l?se mich von James und sehe zu ihm hoch. Mit einer Hand wischt er unter meinem Auge entlang, sein Blick ist verwirrt. ?Anscheinend hat jemand Fotos von mir und Mr Sutton gemacht, die aussehen, als würden wir uns küssen.?
James’ Hand erstarrt an meiner Wange. ?Was??
Ich kann nur den Kopf schütteln.
James l?st sich von mir und sieht mich aus gro?en Augen an. ?Was hast du gerade gesagt??
?Jemand hat Fotos an Rektor Lexington geschickt, die so aussehen, als w?re ich diejenige, die die Aff?re mit Sutton hat?, flüstere ich eindringlich. Ich wische mir mit bebender Hand über die Augen. Ein paar Leute starren mich im Vorbeigehen an, und ich erkenne ein eisblaues Augenpaar.
?Das kann nicht sein?, bringt James hervor.
?Wieso denn nicht??, erklingt Cyrils Stimme. ?Du bist doch derjenige, der diese Fotos gemacht hat, Beaufort.?
Benommen sehe ich zwischen James und ihm hin und her. ?Was??, flüstere ich.
James reagiert nicht. Er starrt blo? Cyril an. Dieser steht mit schr?g gelegtem Kopf und in den Taschen vergrabenen H?nden vor uns.
?Na los. Sag es ihr?, fordert er James auf.
?Was für einen Schwachsinn redest du da, Cyril??, frage ich und kralle die Finger in James’ Arm.
Cyril hebt herausfordernd eine Augenbraue. ?Frag ihn, Ruby. Frag ihn, wer diese Bilder gemacht hat.?
Wieder sehe ich James an, der v?llig regungslos dasteht.
?James??, flüstere ich.
Als ich seinen Namen sage, scheint er aus seiner Starre zu erwachen. Er dreht sich zu mir und schluckt schwer.
Ich sehe in seine Augen.
Panik steigt in mir auf.
Das kann nicht sein.
?Wer hat diese Fotos gemacht??
Auch James’ Atem geht pl?tzlich schneller. Er hebt langsam eine Hand, als würde er mich berühren wollen, sich aber nicht trauen. ?Es ist nicht –?
?Wer, James??
James ?ffnet ein weiteres Mal den Mund, schlie?t ihn dann aber wieder. Er kneift die Augen zusammen, und ich sehe ihn schlucken. Einmal. Zweimal.
Als er die Augen wieder ?ffnet, fühlt es sich an, als h?tte mir jemand einen Sto? vor die Brust verpasst.
?Er hat recht, Ruby.?
Der Boden unter meinen Fü?en zerbricht in Abertausende Teile.
?Ich bin derjenige, der die Fotos gemacht hat.?
Und ich falle.
Epilog
Ember
Ich komme mir vor wie eine Verbrecherin.
Mein Blick zuckt zur Uhr, zum Tresen und der dahinterstehenden Bedienung, zu meinem Cappuccino und zurück zur Eingangstür des Cafés. Der Kreislauf beginnt von vorn. Und noch einmal.
Jede neue Minute scheint langsamer zu vergehen als die vorherige.
Inzwischen habe ich schon eine ganze Schulstunde verpasst. Noch nie in meinem Leben habe ich mich so kriminell gefühlt, nicht mal, als Mum mich dabei erwischt hat, wie ich in der Smith’s Bakery einen Scone hinter dem Tresen stibitzt habe, obwohl sie es mir nicht erlaubt hatte.
Das schlechte Gewissen, das ich jetzt habe, ist nicht mit damals zu vergleichen. Diesmal tue ich n?mlich wirklich etwas Verbotenes.
Die Aufregung sorgt dafür, dass ich kaum still sitzen kann. Ich rutsche auf meinem Stuhl hin und her und frage mich, ob der Cappuccino eine gute Wahl war. Eigentlich bin ich keine Kaffeetrinkerin, aber da ich gestern Nacht so wenig geschlafen habe, dachte ich, das Koffein würde mir guttun. Wahrscheinlich h?tte ich es lieber lassen sollen.
Noch zehn Minuten.
Ich frage mich, wie ich das aushalten soll. Kurz überlege ich, mein Zeug zusammenzupacken, aufzustehen und zu verschwinden, nur um in dreizehn Minuten wiederzukommen und so zu tun, als w?re ich gerade erst eingetroffen. Aber das kommt mir dann doch ein bisschen übertrieben vor.