Save You (Maxton Hall, #2)(17)
Ember und ich haben einander nicht immer so nahegestanden wie jetzt. Wir sind erst nach Dads Unfall eng zusammengewachsen, als wir einander Halt gegeben haben, wenn es ihm schlecht ging und er wieder einmal auf die ganze Welt wütend war. Auch wenn wir ihn verstehen konnten, war diese Zeit nicht leicht für uns. Nur gemeinsam haben wir das durchgestanden.
Das, was uns seitdem verbindet, ist nichts, was ich jemals mit einer anderen Person haben werde, und als Ember meine Schulter drückt, brechen die Worte einfach aus mir heraus. Ich erz?hle ihr alles: von der Halloween-Party, von James’ Vater und den Erwartungen, die dieser an seinen Sohn stellt, davon, wie sehr James unter diesem Druck leidet, von Oxford und all dem, was er und ich miteinander geteilt haben. Von jenem Abend, an dem Lydia zu uns kam und mit mir zu Cyril gefahren ist. Von James, der gekokst hat und anschlie?end in den Pool gesprungen ist. Und von Elaine Ellington.
W?hrend ich erz?hle, huschen die verschiedensten Emotionen über Embers Gesicht: Mitgefühl, Emp?rung, Skepsis, Aufregung und zum Schluss entsetzliche Wut. Nachdem ich fertig bin, sieht sie mich eine Minute einfach nur mit gro?en Augen an, dann nimmt sie mich, ohne ein Wort zu sagen, in den Arm und h?lt mich fest. Zum ersten Mal seit Tagen verspüre ich nicht mehr den Impuls zu weinen. Stattdessen breitet sich etwas Warmes in mir aus, das sich über meine stürmischen Gefühle legt und sie zumindest ein kleines bisschen zu beruhigen scheint.
?Ich wei? einfach nicht, was ich jetzt machen soll?, murmle ich an Embers Schulter. ?Einerseits finde ich es so schrecklich, dass ihm das widerfahren ist. Ich wünschte, ich k?nnte für ihn da sein. Aber auf der anderen Seite will ich ihn nie wiedersehen. Nicht, nachdem er mir das angetan hat. Am liebsten würde ich zu ihm fahren und ihn anschreien, aber das kann ich nicht, denn ich wei? ja, wie schlecht es ihm geht.?
Ember l?st sich von mir und atmet tief durch. Sie streicht mir das Haar von der Wange und hinters Ohr. Anschlie?end f?hrt sie mit ihrer warmen Hand sanft über meinen Kopf. ?Es tut mir so leid, Ruby.?
Ich schlucke schwer und nehme all meinen Mut zusammen, um die folgenden Worte auszusprechen. ?Ich hasse ihn dafür.?
Embers grüne Augen sind voll Mitgefühl und Zuneigung. ?Ich auch.?
?Gleichzeitig frage ich mich, ob ich das überhaupt darf.?
Stirnrunzelnd schüttelt sie den Kopf. ?Es ist dein gutes Recht, so zu empfinden, Ruby. Du tust so, als g?be es feste Regeln für solche Situationen, aber die gibt es nicht. Du fühlst, was du eben fühlst.?
Ich brumme unschlüssig.
?Und wenn du James an manchen Tagen eine reinhauen m?chtest, ist das v?llig legitim – ganz gleich, wie es ihm im Moment geht?, f?hrt Ember in eindringlichem Ton fort. ?Du kannst deine Gefühle nicht von seinen abh?ngig machen, nur weil er gerade eine schlimme Situation durchmacht. Er hat sich wie ein Arschloch verhalten, und ich finde, dass du ihm das auch ruhig sagen kannst. Was rede ich – du solltest es der ganzen Welt sagen.?
Ich brauche einen Moment, um Embers Worte zu verarbeiten. ?Ich habe einfach das Gefühl?, fange ich schlie?lich langsam an, ?dass sich nichts ?ndern wird, egal, welche Gefühle ich zulasse. Entweder es tut wegen seiner Mum weh oder weil er mich betrogen hat. Deswegen versuche ich …?
?… überhaupt nichts zu fühlen?, beendet Ember leise meinen Satz.
Ich nicke.
?Das klingt nicht besonders gesund, Ruby.?
Ich starre auf meine H?nde, als sich zwischen uns Schweigen ausbreitet.
Nach einer langen Weile seufzt Ember. ?Ich kann einfach nicht glauben, dass er das wirklich getan hat. Ich meine, ich kenne seinen Ruf, aber …? Sie schüttelt den Kopf.
?Ich dachte wirklich, ich bin im falschen Film gelandet. Er war wie … ausgewechselt.?
?Das h?rt sich einfach nur schrecklich an.?
?Ich verstehe auch nicht, wieso er nicht einfach zu mir gekommen ist. Er h?tte über alles mit mir reden k?nnen. Wir h?tten …? Ich zucke hilflos mit den Schultern. Keine Ahnung, was ich getan h?tte, wenn James zu mir gekommen w?re. Auf jeden Fall w?re all das nicht passiert. Da bin ich mir sicher.
?Ich glaube, reden war wahrscheinlich nicht das, was er an diesem Abend wollte?, beginnt Ember z?gerlich. ?Es klingt für mich eher so, als h?tte er versucht, sein Leben noch weiter zu zerst?ren, ohne Rücksicht auf Verluste.?
Ich atme stockend ein.
?Ich verstehe auf jeden Fall, wieso es dir so geht. Es ist v?llig in Ordnung, wie du empfindest. Ich hasse ihn auch dafür, dass er das mit dir gemacht hat.?
Ember schlingt erneut ihre Arme um mich, und dieses Mal drücke ich sie genauso fest zurück. ?Danke, Ember?, flüstere ich.
Nach einem langen Moment schiebt sie mich zurück und l?chelt mich warm an. ?Wollen wir anfangen?? Sie deutet auf das Gewürzregal.
Froh darüber, nicht noch mehr über meine Gefühle sprechen zu müssen, nicke ich. Wir setzen die Mundschutze auf und suchen dann nach passender Musik. Ember entscheidet sich für das Michael-Bublé-Weihnachtsalbum, und gemeinsam beginnen wir, das Regal zu lackieren.
?Ich habe übrigens inzwischen die Sechshundert geknackt?, sagt Ember irgendwann.
Ich juble und deute eine Verneigung vor ihr an. ?Du bist eine K?nigin.?
?Ich überlege, mich in den Sommerferien bei verschiedenen Modeunternehmen in London zu bewerben.? Ember sieht mich nicht an, als sie das sagt, sondern widmet sich hoch konzentriert der oberen Ecke des Regals, die eigentlich l?ngst fertig lackiert ist. Ich erkenne wegen des Mundschutzes zwar kaum etwas von ihrem Gesicht, bin mir aber ziemlich sicher, dass sie rot anl?uft.